Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.2020, Nr. 253, S. 51
"Ohne Breitensport kommt es zu einer Vereinsamung"
Roland Frischkorn, der Vorsitzende des Sportkreises Frankfurt, sorgt sich wegen des Lockdowns um fehlende Sportangebote für Kinder und den Gesundheitssport

Herr Frischkorn, durch den zweiten Lockdown müssen der Amateursport und der Freizeitsportbetrieb im November ruhen. Wie groß ist Ihr Unverständnis darüber?

Was mich bei dem Lockdown ärgert: Es gibt eine Vereinbarung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Darin wird festgehalten, dass das Beste für eine Pandemie ist, die körperlichen Widerstandskräfte der Menschen durch Sport zu stärken. Deshalb sei es die falscheste Entscheidung, den Amateur- und Breitensport herunterzufahren. Breitensport heißt insbesondere auch Gesundheitssport. Die Maßnahmen gelten der Gesundheit. Aber was ist das für ein Gesundheitsverständnis, wenn zum Beispiel Kinder, die übergewichtig sind, nicht mehr Sport- und Bewegungsangebote bekommen? Was bedeutet das für ältere Menschen? Ich war in diesem Jahr fünfmal im Krankenhaus und habe gemerkt, wie schnell sich Muskeln abbauen, obwohl ich ein sportlich aktiver Mensch bin. Seit kurzem mache ich wieder Muskelaufbau im Fitnessstudio. Das kommt jetzt zum Erliegen. Die Frage ist demnach: Wie definiere ich eigentlich Gesundheit? Was ist mit dem Koronarsport als Reha-Maßnahme nach Herzerkrankungen? Und, und, und. Von daher ist es absurd, weil genau in diesen Bereichen Abstandsregeln eingehalten und Schutzmaßnahmen umgesetzt werden können.

Was ist jetzt zu tun?

Ich werbe dafür - und das gebe ich auch nicht auf -, den Breitensport und den Gesundheitssport aus diesen Maßnahmen herauszunehmen. Ich weiß, dass die Vereine schon nach dem ersten Lockdown überlegt haben, wie es danach weitergeht. Sie hatten bereits Hygienekonzepte entwickelt, als die Politik noch darüber diskutiert hat, ob wieder gelockert werden soll oder nicht. Das ärgert mich, dass die Politik und die Verwaltung nicht dazu in der Lage sind, zeitnah und früh Maßnahmen zu ergreifen und abzuwägen. Stattdessen wird eine widersprüchliche Entscheidung nach der anderen getroffen, die die Menschen einfach nicht nachvollziehen können. Und ich sage inzwischen: Ich will sie auch nicht mehr nachvollziehen. Und ich will sie nicht mehr erklären.

Lässt sich denn an den Maßnahmen der Politik noch etwas ändern?

Die Politik meint ja, sie macht alles gut, indem sie alles gleichbehandelt und nicht mehr differenziert. Denn wenn die Politik differenzieren will, muss sie erst viele Gutachten in Auftrag geben. Aber selbst das scheint gar keine Rolle mehr zu spielen. Was die Nachverfolgung angeht, war gerade der Breitensport überhaupt kein Hotspot für Infektionen mit dem Coronavirus, sondern der private Bereich. Ich frage mich, wie kann es dann eine Lösung sein, alle Menschen ins Private zu treiben. Ist das eine Art von Hilflosigkeit, wie man mit dem Virus umgeht? Ich unterstelle nicht, dass das alles bewusst so getroffen wird. Doch mir drängt sich heute der Eindruck auf, dass wir nur noch Politik von eben bis gleich machen.

Sind die Schäden für die Gesundheit größer durch den neuen Lockdown als das, was mit ihm verhindert werden soll?

Was die Langzeitfolgen für Kinder angeht, ist die Politik dabei, eine ganze Gesellschaft zu traumatisieren. Und hinterher wundern sich die Politiker dann darüber, dass massenweise Therapeuten gebraucht werden. Ohne Breitensport geht es den Kindern auf bestimmte Art wie den älteren Menschen: Es kommt zu einer Vereinsamung. Und das wiederum kann zum Beispiel zu Depressionen führen.

Gehen Sie davon aus, dass die Vereine viele Mitglieder verlieren werden?

Natürlich muss man damit rechnen, dass sie Mitglieder verlieren. Was noch dazukommt: In solchen Zeiten tritt so gut wie keiner in Vereine ein. Allein dadurch reduzieren sich die Mitgliederzahlen. Zumindest in den vergangenen Monaten gab es aber eine gewisse Stabilität bei den Mitgliederzahlen. Schon beim ersten Lockdown haben Vereine ihren Mitgliedern umgehend Online-Angebote für Sport gemacht. So wurden die Mitglieder motiviert, dabeizubleiben. Außerdem wurden damit neue Mitglieder gewonnen. Allerdings ist es schwierig, Mannschaftssport online zu betreiben.

Wird der Frankfurter Amateur- und Breitensport durch den zweiten Lockdown in seinen Grundfesten erschüttert werden?

Nein, der Sport wird nicht erschüttert. Er wird anders. Der Sport denkt jetzt in Alternativen. Er lernt genauso, wie wir vom Virus lernen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass der Sport in Frankfurt so kreativ ist, umzudenken. Die europäischen Wochen des Sports fanden zum Beispiel als Hybridveranstaltung, also mit digitalen Übertragungen, aber auch in der Realität statt. Es gab nicht die Großveranstaltungen mit ein paar tausend Leuten, dafür aber viele dezentrale Veranstaltungen bei den Vereinen in Form von Tagen der offenen Tür. Oder die Jugendlichen der Bolzplatzliga: Sie haben mit Fußballtennis begonnen, um damit die Abstände einhalten zu können. Sie fanden das so cool, dass sie es beibehalten haben. Der Sport wird vielfältiger werden und gestärkt daraus hervorgehen, weil die Kreativität im Sport wirklich riesig ist. Das haben die ersten Wochen des ersten Lockdowns gezeigt. Das jetzt natürlich ein bisschen Frust aufkommt, ist verständlich. Die Politik will offensichtlich nicht verstehen, wie wichtig die Stärkung der körperlichen Widerstandskraft für unsere Gesundheit ist. Ich werde in dieser Frage meinen Mund nicht halten und weiterbohren.

Das Gespräch führte Jörg Daniels.
 
Bildunterschrift: Fit halten im Fitnessstudio: Auch dieses Sportangebot ruht nach dem Willen der Politik im November.

Foto dpa

Roland Frischkorn

Foto Marcus Kaufhold
Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main 
Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de